Der Tod eines Familienmitglieds bringt oft nicht nur große Trauer, sondern leider auch oft große Erbstreitigkeiten mit sich. Falls ein Testament vorliegt, gibt es manchmal unliebsame Überraschungen, weil einzelne Angehörige enterbt wurden oder weil Ehepaare sich alles gegenseitig vererbt haben und die Kinder zunächst leer ausgehen. Allerdings können enge Verwandte nicht vollständig vom Erbe ausgeschlossen werden. Dies wird über den sogenannten Pflichtteil im Erbrecht geregelt. Wie man als Erbe diesen Pflichtteil einfordern oder als Erblasser diesen Pflichtteil auf Wunsch weitgehend vermeiden kann, erfahren Sie hier!

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Das Wichtigste vorab

  • Der Pflichtteil im Erbrecht sorgt dafür, dass die nächsten Angehörigen eine Mindestbeteiligung am Nachlass erhalten.
  • Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs.
  • Eine komplette Enterbung ist bei Ehepartnern und Kindern nicht möglich, sie sind Pflichtteilsberechtigt.
  • Der Pflichtteil muss konkret gefordert werden, er wird nicht automatisch zugewiesen.
  • Ein Testament kann den Pflichtteil nicht komplett ausschließen.
  • Schenkungen zu Lebzeiten werden auf den Pflichtteil angerechnet.

Was bedeutet Pflichtteil im Erbrecht?

Der Pflichtteil ist in § 2303 BGB geregelt und sichert für nahe Angehörige eine finanzielle Beteiligung am Erbe des Verstorbenen. Enterbte Verwandte können so einen Teil des Erbes fordern, der ihnen laut gesetzlicher Erbfolge zustehen würde.

Pflichtteilsanspruch

Der Pflichtteil im Erbrecht sichert nahen Angehörigen einen Mindestanspruch.Pflichtteilsanspruch

Jeder darf in seinem Testament frei verfügen, wem er wie viel von seinem Vermögen vererbt. Es können so auch Personen enterbt werden. Allerdings gibt es den sogenannten Pflichtteilsanspruch. Dieser betrifft vor allem den Ehepartner und die Kinder und sichert diesen einen Anspruch zumindest von der Hälfte des Erbes, das ihnen gesetzlich zusteht. Dieser Anspruch kann durch ein Testament nicht komplett aufgehoben werden. Allerdings muss der Pflichtteilsanspruch von den Pflichtteilsberechtigten nach dem Erbfall konkret eingefordert werden und wird nicht automatisch verfügt. Die anderen Erben sind auch nicht verpflichtet, den Pflichtteilsberechtigten zu informieren.
Der Pflichtteilsanspruch gilt auch für Kinder, deren Eltern sich ihr Vermögen gegenseitig vererbt haben und die deshalb zunächst leer ausgehen. Sie könnten den Pflichtteil in Anspruch nehmen, falls sie dies wünschen.

Pflichtteilsrecht

Das Pflichtteilsrecht ist in § 2303 BGB geregelt. Danach kann ein Angehöriger des Verstorbenen, der vom Erbe ausgeschlossen wurde, seinen Pflichtteil verlangen. Dieser besteht in Höhe der Hälfte des Wertes des ihm gesetzlich zustehenden Erbes. In § 2305 BGB ist außerdem der Zusatzpflichtteil geregelt, der für den Fall gilt, dass zwar dem Pflichtteilsberechtigten ein Erbe hinterlassen wurde, dieses jedoch kleiner ist als der halbe ihm zustehende Erbteil. Auch dann kann der Berechtigte einen Ausgleich fordern.

Steht der Pflichtteil nur den Kindern zu?

In § 2303 BGB, ist geregelt, wem der Pflichtteil zusteht. Zunächst erben Ehepartner und Kinder. Sind die Kinder ihrerseits bereits verstorben, erben deren Kinder (also die Enkel) den Anteil. Gibt es weder Ehepartner noch Kinder, erben die Eltern des Verstorbenen. Großeltern, Geschwistern und entfernteren Verwandten des Verstorbenen steht kein Pflichtteil zu.

Das folgende Schaubild veranschaulicht die Pflichtteilsberechtigten und die Höhe des jeweiligen Erbanspruchs

Der Pflichtteil verteilt sich bei einer Ehe mit Zugewinngemeinschaft zur Hälfte auf den hinterbliebenen Ehepartner und zur anderen Hälfte auf die Kinder.

Wie wird der Pflichtteil berechnet?

Der Pflichtteil im Erbrecht wird nach §§ 1924 bis 1936 BGB geregelt. Er beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs. Die Höhe des Pflichtteils ist damit nur halb so groß wie der Erbanspruch, der laut gesetzlicher Regelung bestehen würde.

Beispiel:

Eine Witwe stirbt und hinterlässt zwei Kinder, davon hat sie allerdings ein Kind per Testament enterbt. Gesetzlich würde beiden Kinder jeweils die Hälfte des Erbes zustehen. Da dem enterbten Kind nun (nur) der Pflichtteil zusteht, erbt dieses Kind ¼ des Erbes und damit die Hälfte des ihm gesetzlich zustehenden Anteils.

Wie beantragt man den Pflichtteil?

Falls man erbberechtigt ist, jedoch durch Verfügungen des Erblasser (Testament oder Erbvertrag) enterbt wurde, so erhält man den Pflichtteil nicht automatisch, sondern muss diesen beantragen. Dazu muss aber zunächst ermittelt werden, wie hoch der Nachlass ist. Diese Auskunft kann schriftlich bei den Erben eingefordert werden. Kontaktieren Sie in solchen Fällen unbedingt einen Fachanwalt für Erbrecht, der Sie umfassend beraten und Ihre Ansprüche durchsetzen kann.

Gibt es eine Verjährungsfrist für den Antrag auf den Pflichtteil?

Pflichtteilsanträge sind innerhalb von drei Jahren nach dem Erbfall zu stellen. Maßgeblich ist dabei nicht zwingend der Todestag des Erblassers, sondern der Tag, an dem der Pflichtteilsberechtigte vom Eintritt des Erbfalls und von seiner Enterbung erfahren hat. Die Verjährungsfrist von drei Jahren beginnt dann erst am 1. Januar des folgenden Jahres.

Ist der Pflichtteil in Geld oder in Gegenständen zu zahlen?

Erbteile aus gesetzlicher Erbfolge oder aus dem Testament können teilweise in Form von Sachgegenständen beglichen werden, der Pflichtteil muss dagegen in Form von Geld gezahlt werden. Dies bedeutet auch, dass ein Erbe, der seinen Pflichtteil verlangt, diesen nicht in Form von Nachlassgegenständen einfordern kann.

Wie kann man den Pflichtteil umgehen?

Es ist nur in Ausnahmefällen und unter bestimmten Bedingungen möglich, den Pflichtteil zu umgehen. Einige Beispiele dazu führen wir hier an:

Kann man den Pflichtteil durch einen Erbvertrag umgehen?

Verwandte und Ehepartner des Erblassers können per Vertrag auf ihr Erbe verzichten, dies ist geregelt in § 2346 BGB. Der Vertrag ist dabei noch zu Lebzeiten aufzusetzen und ein solcher Vertrag setzt voraus, dass der potentielle Erbe zustimmt und auf sein Erbe verzichtet. Dieser Erbe wird dann nach dem Erbfall bei der Ermittlung der Anteile nicht mitgezählt. Ein solcher Vertrag sollte unbedingt mit Hilfe eines Fachanwalts aufgesetzt werden, damit alle rechtlichen Aspekte beachtet werden.

Kann man den Pflichtteil durch ein Testament umgehen?

Es ist zwar durchaus üblich, Erben mit Hilfe eines Testaments ausdrücklich zu enterben, dies schützt jedoch nicht davor, dass der Pflichtteil nach dem Erbfall vom Enterbten gefordert wird. Dieser Anteil beträgt dann jedoch nur noch die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs.
Falls unbedingt vermieden werden soll, dass ein Erbe aus dem Nachlaß noch seinen Pflichtteil erhalten muss, sollte eventuell über Schenkungen zu Lebzeiten nachgedacht werden, die auf den Pflichtteil angerechnet werden.

Beispiel:

Ein Mann hat eine Ehefrau und zwei Söhne. Einen der Söhne möchte er enterben, u.a. weil er befürchtet, dass dieser die Familienvilla schnellstmöglich verkaufen möchte. Um Erbstreitigkeiten vorzubeugen, wäre zu überlegen, ob der Sohn (der nicht erben soll) schon zu Lebzeiten Gelder oder Aktien oder Vermögensteile geschenkt bekommt, die ungefähr dem späteren Pflichtteil entsprechen. Dadurch könnte der enterbte Sohn zwar seinen Pflichtteil einfordern, die Schenkungen würden jedoch angerechnet und Ehefrau und zweiter Sohn müssten keine hohen Geldbeträge nach dem Tod des Vaters zahlen, die eventuell sogar einen Verkauf der Villa nach sich ziehen würden.

In welchen Fällen kann ein Pflichtteil verweigert werden?

Der Pflichtteil kann nur unter seltenen und besonderen Bedingungen komplett verwehrt werden. Fälle dieser Art liegen z.B. vor, wenn ein Ehepartner oder ein Kind dem Verstorbenen körperliche Gewalt angetan haben. Wer seinen Ehepartner getötet hat, erbt also nicht. Weiterhin kann jemand enterbt werden, der für eine Straftat für mindestens ein Jahr ohne Bewährung verurteilt wurde. Eine Enterbung ist dagegen nicht zulässig, wenn ein Kind den Kontakt abgebrochen oder den Verstorbenen beleidigt hat.

Wird eine Schenkung auf den Pflichtteil angerechnet?

Die Regelungen des Erbrechts sind sehr komplex und sollten mit Hilfe eines Fachanwalts für Erbrecht besprochen werden.

Schenkungen zu Lebzeiten wirken sich auf den Pflichtteil aus. Die Schenkung von Immobilien, Aktien, Schmuck oder auch Geld wird auf den Pflichtteil angerechnet. Für den Erblasser bietet sich hier die Möglichkeit, einen Pflichtteilsanspruch nach dem Todesfall einzuschränken oder zu vermeiden. Nach dem Todesfall wäre der Pflichtteil darüber hinaus auf jeden Fall in Form von Geld zu zahlen – vor dem Tod zählen auch Immobilien oder Schmuck. Nach dem Tod des Erblassers hat der Pflichtteilsberechtigte einen Pflichtteilergänzungsanspruch. Dies ist ein komplexes Gebiet, anwaltliche Unterstützung ist unbedingt anzuraten!

Kann ein Pflichtteil vorab ausgezahlt werden?

Wie bereits erwähnt, werden Schenkungen vor dem Tod des Erblassers auf den Pflichtteil angerechnet. Daher ist es im Grunde genommen möglich, den Pflichtteil schon vorab auszuzahlen. Allerdings kann dies nur der Erblasser entscheiden – nicht der Erbe. Ein Recht der Einforderung des Pflichtteils schon zu Lebzeiten des Erblassers besteht nicht.

        FAQ

         (Häufig gestellte Fragen)

Wie hoch ist der Pflichtteil im Erbrecht?

Der Pflichtteil beläuft sich auf die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs und ist damit nur halb so hoch wie bei der gesetzlichen Erbfolge.

Wer ist Pflichtteilsberechtigt?

In erster Linie sind Ehepartner und Kinder berechtigt, den Pflichtteil zu fordern. Enkel sind nur berechtigt, wenn die Kinder nicht mehr leben. Die Eltern des Verstorbenen sind nur berechtigt, wenn es keine Kinder gibt. Geschwister und weitere entfernte Verwandte sind nicht pflichtteilsberechtigt.

Werden Schenkungen auf den Pflichtteil angerechnet?

Schenkungen zu Lebzeiten werden auf den Pflichtteil angerechnet. Es ist dadurch möglich, Pflichtanteilsansprüche nach dem Todesfall zu vermeiden oder zu reduzieren.

Kann durch ein Testament der Pflichtteil ausgeschlossen werden?

Durch ein Testament kann zwar jemand enterbt werden, falls es sich jedoch um nahe Angehörige wie Ehepartner oder Kinder handelt, steht diesen trotzdem auf Antrag der Pflichtteil zu.

Wird ein Pflichtteil automatisch zugewiesen oder muss er beantragt werden?

Der Pflichtteil muss beantragt werden, er wird vom Amtsgericht nicht automatisch zugewiesen. Diese Forderung sollte innerhalb von drei Jahren gestellt werden, später verjährt der Anspruch.

Können Kinder auch einen Pflichtteil bekommen, wenn die Eltern sich alles gegenseitig vererben?

Theoretisch ist es möglich, dass Kinder ihren Pflichtteil einfordern, falls Eltern sich mit Hilfe eines Berliner Testaments gegenseitig alles vererben und die Kinder zunächst nichts erben. Allerdings beträgt der Pflichtteil nur die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs.

Weitere wichtige Fragen im Zusammenhang mit dem Pflichtteil im Erbrecht

Wann steht Enkeln ein Pflichtteil zu?

Enkel können nur dann einen Pflichtteil einfordern, wenn ihre erbberechtigten Elternteile nicht mehr leben. Falls solche Ansprüche geltend gemacht werden sollen, ist dies nur innerhalb von drei Jahren möglich, danach verjährt der Anspruch.

Wann steht den Eltern ein Pflichtteil zu?

In der Regel steht den Eltern des Verstorbenen nur der Pflichtteil zu, wenn der Erblasser keine Kinder hatte oder diese bereits verstorben sind. Ehepartner und direkte Nachkommen haben Vorrang vor den Eltern, dem Ehepartner steht auf jeden Fall ein Pflichtteil zu.

In der Regel steht den Eltern des Verstorbenen nur der Pflichtteil zu, wenn der Erblasser keine Kinder hatte oder diese bereits verstorben sind.

Es gibt lediglich eine Ausnahme, bei der Kinder übergangen werden können und die Eltern des Verstorbenen doch erben: Wenn die pflichtteilsberechtigten Kinder unter dem sogenannten “Pflichtteilsetzung”  stehen, kann der Pflichtteil entzogen werden. Dies ist nur in bestimmten Fällen möglich, z.B. wenn jemand wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wurde.

Gibt es auch einen Pflichtteil für Stiefkinder?

Stiefkinder können keinen Pflichtteilsanspruch stellen, dies ist nur leiblichen Kinder und adoptierten Kindern möglich. Dabei ist es unerheblich, ob diese Kinder ehelich oder unehelich sind.

Welche Auswirkung hat ein Berliner Testament im Erbrecht?

Beim Berliner Testament vererben sich Ehegatten gegenseitig zunächst das gesamte Vermögen. Die Kinder erben erst, wenn auch der hinterbliebene Elternteil stirbt. Diese Art des Testaments kann Erbauseinandersetzungen verhindern und den Lebensstandard des hinterbliebenen Ehepartners sichern. Dies trifft vor allem zu, wenn z.B. das Erbe fast ausschließlich aus einer selbstgenutzten Immobilie besteht. Andererseits bedeutet ein Berliner Testament im Grunde genommen auch, dass die Kinder zunächst einmal enterbt sind. In diesem Fall können diese – rein rechtlich gesehen – den Pflichtteil beantragen. Da dies oft zu finanziellen Problemen für den hinterbliebenen Ehepartner führt – und dann z.B. das Haus verkauft werden muss – ist solch ein Schritt gut zu überlegen. Darüber hinaus bekommt der Erbe, der seinen Pflichtteilsanspruch geltend macht, nur die Hälfte des ihm zustehenden Erbes ausbezahlt.

Lassen Sie sich in solchen Fällen unbedingt von einem Anwalt beraten. Je nach Situation und zu erwartender Entwicklung des Erbes kann es sinnvoll sein, den Pflichtteil zu beantragen. Es kann aber auch lukrativer sein, das vollständige Erbe abzuwarten.

Wichtiger Hinweis: Es kann übrigens auch von einem erbberechtigtem Kind, das HARTZ IV erhält, nicht verlangt werden, im Falle eines Berliner Testaments seinen Pflichtteil einzufordern. Damit würde der ausdrückliche Wille der Eltern unterlaufen.

Welche Auswirkung hat Gütertrennung auf den Pflichtteil?

Hatte ein Ehepaar Gütertrennung vereinbart und stirbt ein Partner, so steht dem hinterbliebenen Partner Partner lediglich ein Anteil am Erbe nach § 1931 Abs. 4  zu. Der Anteil für den Ehepartner liegt dann bei ¼ , wenn es Kinder gibt. Die Kinder erben ¾. Der Pflichtteil beträgt dann jeweils die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs.

Fazit

Erbauseinandersetzungen und Streit um den Pflichtteil treten leider recht häufig auf. Lassen Sie sich daher eingehend beraten, bevor Sie ein Testament erstellen. Wir beraten Sie gerne sowohl bei Schenkungen, Erbverträgen als auch bei der Testamentserstellung. Falls Sie selbst von Erbstreitigkeiten betroffen sind, helfen wir Ihnen kompetent bei der Durchsetzung Ihrer Rechte. Vertrauen Sie auf unsere langjährige Erfahrung im Erbrecht!

Bodo Heuser

Der Fachanwalt für Familienrecht und Erbrecht ist seit über 20 Jahren erfolgreich in Köln aktiv und hat für vielzählige Mandanten sehr gute Erfolge vor Gericht erzielt. Er hilft Ihnen dabei, Ihren Fall kompromisslos und ergebnisorientiert vor Gericht durchzusetzen.